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Porgo Tagträumer

Porgo Tagträumer

Wie wollen wir entscheiden, wohin wir gehen,
wenn wir nicht wissen, woher wir kommen?

Abschied von Apfelhainich

Veröffentlicht von Administrator am 24.09.2004

Tagebuch >> Mittelerde

Pünktlich zur Mittagsstunde war Herr Nostrok tatsächlich da. Er hatte nicht einmal eine Tasche oder einen Rucksack dabei.
Meinen Rucksack hatte ich gestern Abend gepackt. Seile, Spaten, Pfanne, Lederriemen, ein paar Würste und Kräuter hatte ich drangebunden, ein Schaffell und eine Decke aufgeschnallt. Essgeschirr und Wechselwäsche hatte ich hineingepackt. Und natürlich das Tagebuch, Feder und Tinte. Hoffentlich sind wir zum Abendessen wieder zurück.

Oha, das mit dem Abendessen zu Hause wird wohl heute nichts mehr. Ich schreibe diesen Eintrag in einem kleinen gemütlichen Zimmer eines Gasthauses unendlich weit weg von Apfelhainich und meinem Haus. Neben mir steht ein Teller mit Bratwürstchen und heißem Kohl. Ausgesprochen köstlich. Dazu steht hier ein halber Krug dunklen Biers, das es fast mit dem Bier des alten Hoogs aus Boddling aufnehmen kann.

Aber zurück zu den Geschehnissen des heutigen Tages:
Herr Nostrok betrat heute Mittag also mein Haus, nachdem er höflich darum bat eintreten zu dürfen. Nach einer Tasse Tee in meiner Küche sprach er stumm etwas, was ich nun nachträglich wohl als Zauber bezeichnen muss. Der Ofen drehte sich zusammen mit dem Rest des Zimmers um uns herum und verschwand nach und nach. Löste sich völlig auf und nahm ganz langsam immer mehr einen grünen Farbton an. Dann erschien nach und nach die grüne Wiese, die ich bereits im Traum gesehen hatte an Stelle meiner Küche.

Als die Welt wieder zum Stillstand gekommen war, standen wir wirklich auf einem Hügel, der mit hellgrünem, weichem Gras bedeckt war. Hier und da leuchteten einzelne goldene, weiße und hellrote Blüten. Wir standen mit dem Blick zur Hügelkuppe hinauf.
Ich drehte mich langsam um und erblickte am Fuß des Hügels eine Stadt. Es stieg hier und da Rauch auf. Aber ich sah keine Häuser. Nur Straßen und Wege, welche die einen zentralen Platz umgebenden Hügelchen verbanden. Auf diesem Platz nahm ich Bewegungen wahr. Dort waren Wesen unterwegs. 'Was für Wesen mögen das sein?', dachte ich so bei mir, 'Ob sie uns wohl freundlich gesinnt sein werden?' Ich fragte Herrn Nostrok, wo wir hier seien. "Dieser Ort nennt sich Michelblinge und liegt im Auenland", antwortete er.
Von einem Auenland hatte ich noch nie gehört und doch klang es irgendwie heimisch in meinen Ohren. Auf den Hügeln jenseits der Stadt erschaute ich einige Felder und dahinter einen kleinen Wald. Die Wipfel der Bäume wiegten sich sanft im Wind. Ich drehte mich einmal um mich selbst, doch da war nichts Bekanntes zu erkennen. Es war hübsch anzusehen, aber es war nicht meine Heimat.
"In welcher Himmelsrichtung liegt dieser Ort von Apfelhainich aus gesehen?", wollte ich wissen.
"Das lässt sich nicht so leicht beantworten. Wir sind nicht mehr in Awarnor und auch nicht auf einer anderen Insel unserer Welt. Diese Welt existiert neben unserer und völlig unabhängig davon", erklärte er mir.
Ich war verwirrt, doch fragte ich ihn: "Gibt es viele solcher Welten? Wie viele habt ihr bereits bereist?"
Er antwortete, es gäbe so viele Welten wie Sterne am Himmel und daher könne niemand alle Welten bereisen. Auf einer seiner Reisen entdeckte er diese Welt, die man hier Mittelerde nennt. Mit der Absicht die Lösung eines Problems, vor dem Herr Nostrok vor einigen Jahren stand, zu finden, sei er zu einer Reise in andere Welten aufgebrochen. Irgendetwas mit einer Priesterkönigin oder -kaiserin. Ich muss gestehen, dass ich das nicht alles behalten und deswegen auch nicht aufschreiben konnte.
Während er mir schilderte, wie er hier das erste Mal angekommen war, gingen wir, Herr Nostrok voran, den Hügel hinab in Richtung des zentralen Platzes. Dabei erkannte ich, je näher wir kamen, dass auf den Wegen und Straßen keine seltsamen, unbekannten Wesen unterwegs waren, sondern lediglich Hobbits. Sie waren ein wenig anders gekleidet, als es bei uns zuhause üblich ist, doch, soweit ich sehen konnte, waren sie weder auffällig größer noch kleiner als in Awarnor.
Wir standen nun oberhalb eines der Wege. Oberhalb muss ich sagen, weil unter uns eine Tür in den Hügel hineinführte. Diese Hobbits bauen ihre Häuser scheinbar in die Hügel hinein, sehr schlau. Vor der Tür befand sich ein liebevoll gestalteter, kleiner Garten mit blühenden Kressen und Kürbissen, der von einem Zaun umgeben war. Ich fühlte mich an dieser Stelle sehr unbehaglich. Wie würde es mir gefallen, wenn plötzlich jemand auf meinem Dach stehen würde?

Marktplatz von Michelbinge

Marktplatz von Michelbinge

Wir gingen also nach unten um den Garten herum auf den Weg und setzten unseren Weg in Richtung des zentralen Platzes. Doch dann bog Herr Nostrok nach links ab. Ich folgte ihm in den Vorgarten eines der Hügelhäuser hinein. An der runden, ja sie waren wirklich rund, Tür klopfte er an. Eine Hobbitfrau in einem hellblauen Kleid mit Schürze öffnete. Sie hatte lange gelockte hellbraune Haare, in welche sie einen Kranz bunter Blumen hineingeflochten hatte, und begrüßte uns freundlich lächelnd mit einem& 'Guten Abend'.
Abend? War es wirklich schon so spät? Wo war der Rest des Tages geblieben? Waren wir so lange unterwegs gewesen?
Herr Nostrok grüßte und bat sie um Einlass und um ein Zimmer für mich. Ich trat nach ihm ein.

Das Haus war erstaunlich geräumig. Die Wände waren mit Holz verkleidet. Sie sagte, dass hier gleich rechts des Schankraum sei, an dem wir vorbeigingen, und sie ein hübsches Zimmer gleich zwei Türen weiter frei hätte. Es handelte sich um das Gasthaus, in dem ich jetzt noch bin. Sie öffnete die Tür zu dem Zimmer und schritt hindurch. Das Zimmer hatte ein Fenster hinaus auf den großen Platz, den wir bereits vom Hügel aus gesehen hatten. Ein großes Bett mit einer bunt bestickten Tagesdecke stand an der einen Wand, ein Schreibtisch unter dem Fenster und ein Waschtisch sowie eine kleine Kommode an der anderen Wand.
Herr Nostrok legte der Frau ein paar Münzen in die Hand und bestellte ein Abendessen im Schankraum. Ich legte meinen Rucksack, den Stab und meinen Wams neben der Kommode ab und folgte den beiden in den Gastraum.
Dieser war groß. Gleich neben der Tür stand ein Tresen hinter dem ein rundlicher Hobbit gerade ein paar Krüge ausspülte. Er sah uns eintreten und grüßte uns. Die Frau sagte: "Vater, machst du bitte zwei Abendessen fertig?" Sie wies uns einen Tisch, an dem wir dann Platz nahmen.
Herr Nostrok saß mir gegenüber und begann flüsternd zu sprechen: "Ich werde euch nach dem Essen allein lassen. Geht am besten in Euer Zimmer, Herr Tagträumer, und ruht euch aus. Wir werden morgen einen aufregenden Tag haben."
"Was genau ist es denn, bei dem ein mächtiger Mann wie Ihr von jemandem wie mir Unterstützung benötigen könnte?", fragte ich.
"Lasst mich Euch das morgen ausführlich darlegen. Ich vermute, die Verblüffung über diese Reise wird Euch heute bereits genug beschäftigen. Ah, da kommt Ganni auch schon mit dem Essen", und zu der Tochter des Schankwirts, die mit zwei dampfenden Tellern auf unseren Tisch zukam, sagte er: "Wäret Ihr wohl so freundlich, uns noch zwei Krüge von Eurem köstlichen Dunkelbier zu bringen?"
Ich schaute Ganni, wie sie wohl hieß, beim Servieren der Teller zu. Als sie dann zur Theke ging, um unsere Bestellung auszurichten, bemerkte ich erst, wie hungrig ich tatsächlich war. Als ich wieder auf den Tisch blickte, bemerkte ich, dass Herr Nostrok nicht mehr auf seinem Stuhl saß und auch im Gastraum konnte ich ihn nicht mehr finden. Er war wieder verschwunden, wie bei unserer ersten Begegnung."
Ich aß also alleine meinen Teller mit Kohl und Bratwürstchen und trank alleine meinen Krug Bier. Da die Portion von Herrn Nostrok noch unangetastet da stand, wo sie abgestellt worden war, entschied ich mich, sie und den Krug Bier mit auf mein Zimmer zu nehmen.

Und so sitze ich nun hier beim Licht einer Kerze in einer fremden Welt. So fremd sie auch sein mag, dieses Zimmer fühlt sich liebevoll an, das Essen ist besonders gut und die Hobbits soweit ich es sagen kann freundlich.
Ist dies wirklich die Welt meiner Herkunft? Wie kann das möglich sein?
Ich werde Herrn Nostrok morgen danach fragen.


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© Danny Liebig